Es begann mit einem halben Orchester….
Das Kammerorchester La Folia ist ein mit Laien besetztes Streichorchester. Berufsmusiker werden in seltenen Fällen wie etwa bei kurzfristigen Vakanzen zur Verstärkung zugezogen. Entstanden ist das Orchester durch Sezession. Die seit mehreren Generationen bestehende Orchestervereinigung Oberstrass in Zürich war im Lauf der Zeit auf ein Kammerensemble zusammengeschrumpft. In den 1990er Jahren ergaben sich über die Art der musikalischen Leitung Meinungsverschiedenheiten, die sich nicht überbrücken liessen. Rund die Hälfte der Mitspieler wurde zu Dissidenten und versagte dem amtierenden Vorstand die Gefolgschaft. Zusammen mit der Leiterin Ruth Schnidrig traten sie im Sommer 1994 geschlossen aus der Orchestervereinigung Oberstrass aus, um sich neu zu formieren. So wurde der Grundstein für ein neues Orchester gelegt. Dieses gab sich den Namen Kammerorchester La Folia und präsentierte sich mit einem prägnanten, noch heute verwendeten Logo.
Die musikalische Leitung: von Ruth Schnidrig…
Zunächst war es nicht ganz einfach, aus dem halben Orchester ein ganzes zu machen. Neue Mitspieler rannten uns nicht gerade die Türe ein. Dessen ungeachtet wurde noch im gleichen Jahr mit intensiver Probenarbeit begonnen und es gelang, genügend neue Kräfte zu gewinnen, um bereits im Januar 1995 mit einem ersten Konzert an die Öffentlichkeit treten zu können. Treibende Kraft war die vielfach vernetzte Geigerin und Dirigentin Ruth Schnidrig. Sie hat das neue Orchester aufgebaut, während acht Jahren geleitet, als begnadete Pädagogin mit viel Geduld entscheidend geprägt und zu einem gepflegten Klangkörper geformt. Ihre Arbeit wirkte nach ihrem Weggang noch lange nach und half dem Orchester über eine schwierige Zeit hinweg, in der es sich mit Provisorien durchschlagen musste.
... zu Mirion Glas
Eine Pause gab es nicht. Zunächst übernahm der Violinist Mathias Boegner die Leitung, gab sie aber schon nach einem einzigen Konzert wegen seiner Berufung ins Ausland wieder ab. Für den Rest des Jahres 2003 sprang der Dirigent Joël Mathias Jenny ein. Im Jahr 2004 zeichnete sich mit dem erfahrenen Violinisten und Orchestermusiker David Newman aus dem Tonhalle-Orchester Zürich wieder eine konstantere Lösung ab. David hat mit dem Kammerorchester La Folia zwei wunderbare Programme einstudiert und aufgeführt. Unerwartet ist er bald darauf schwer erkrankt und ein Jahr später verstorben. Während Davids Krankheit sprang der im Zürcher Kammerorchester als Bratschist tätige Mirion Glas als Gastdirigent ein. Ihn konnte das Orchester daraufhin im Jahr 2006 als ständigen Leiter gewinnen. Diese Funktion übt er noch heute aus. Mit Mirion Glas gewann das Orchester in einer nun konstanten Phase an Profil und entwickelte mit einem harmonisch wachsenden Bestand an begeisterten und engagierten Mitspielern aller Altersstufen einen eigenen Orchesterklang. Heute konzertiert es regelmässig mit rund zwanzig Streichern. Dabei stehen Werke für reine Streicherbesetzung, wo nötig ergänzt durch ein Cembalo, im Vordergrund. Bläser werden zugezogen, wenn es die Programmauswahl erfordert.
Über 150 Auftritte seit 1995
In den zwanzig Jahren seines Bestehens hat das Kammerorchester La Folia rund 65 Programme erarbeitet und diese jeweils zwei bis dreimal aufgeführt, sich also der Öffentlichkeit gut 150 mal präsentiert. Pro Jahr kommen normalerweise zwei Konzertprogramme zur Aufführung, je eines im Frühsommer und eines im Spätherbst. Dafür wird jeweils während etwa dreier Monate wöchentlich geprobt. Unter der Leitung von Ruth Schnidrig war daneben häufig auch eine kleine Gruppe aus dem Orchester bei verschiedenen Gelegenheiten in zusätzlichen Konzerten zu hören. Heute beschränkt sich das Orchester auf zwei jährliche Projekte mit Auftritten in voller Besetzung.
Musik vom Barock bis zur Moderne
Das Repertoire des Orchesters ist breitgefächert. Es reicht von Kompositionen aus dem Frühbarock bis in die heutige Zeit. Zu besonderen Gelegenheiten hat das Orchester Kompositionsaufträge an zeitgenössische Komponisten erteilt, darunter Jeng- Chun (Louis) Chen [Les Folies, 12 Variationen über das Folia Thema; eine Suite für Streichorchester zum zehnjährigen Bestehen des Orchesters; ferner die Tondichtung über die Qingming-Bildrolle], Arthur Lilienthal [ein Andantino für Streichorchester; das Brandenburgische Konzert Nr.7; eine Bearbeitung des Violoncello-Konzerts von Robert Schumann für Streichorchester], Thomas Läubli [Notturno] und Fabian Müller [das zum zwanzigjährigen Jubiläum des Orchesters geschriebene Werk La Folia, zwanzig Variationen über das Thema des spanischen Tanzes]. In der Regel beinhalten die Konzertprogramme auch Werke für Solisten. Die meisten Instrumente waren schon vertreten. Gespielt wurden sie von Musikern verschiedensten Ranges, vom Studierenden bis hin zu internationalen Grössen. Die Konzertchronik mit Angaben der gespielten Werke und der Solisten ist auf der Website des Orchesters aufgezeichnet (www. lafolia-zuerich.ch).
Freier Zusammenschluss ohne Vereinsform
Laienorchester gibt es landauf und landab in grosser Zahl. Es findet sich kaum ein Ort in der Schweiz, in dem man sich als Amateurmusiker nicht einer Gruppe anschliessen kann. Alle verfolgen ähnliche Ziele, doch hat jede Formation ihr individuelles Gesicht. Was ist nun das Besondere am Kammerorchester La Folia? Es unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von vielen anderen derartigen Gruppierungen. Zunächst fällt die Struktur auf. Während Laienorchester in den allermeisten Fällen als Vereine organisiert sind, besteht das Kammerorchester La Folia auf einem freien Zusammenschluss. Weil eine formelle Struktur fehlt, steht für die Mitspielerinnen und Mitspieler das gemeinsame Musizieren im Vordergrund. Auf ein statutarisch geregeltes Vereinsleben wird kein Wert gelegt. Alle haben die Möglichkeit, ihre Ideen und Vorschläge formlos einzubringen. Die für den Orchesterbetrieb erforderlichen Arbeiten werden verteilt und von Freiwilligen geleistet. Ein kleines Gremium, ähnlich einem Vorstand, sorgt für die Koordination. Die Freiheit des Zusammenschlusses zeigt sich unter anderem auch darin, dass von niemandem verlangt wird, sich langfristig zu verpflichten. Es wird auf die individuelle Situation jedes einzelnen Rücksicht genommen. Die Zusammensetzung des Orchesters kann daher von Projekt zu Projekt ändern. Es gibt dadurch immer wieder Platz für einzelne neue Kräfte, die ihrerseits sehr zum Vorteil des Ganzen neue Ideen und frischen Elan mitbringen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Niveau dadurch nicht leidet, sondern das Orchester im Gegenteil von solcher Blutauffrischung durchaus profitiert. Ein Kern regelmässiger Mitspielerinnen und Mitspieler gewährleistet die notwendige Konstanz. Im Gegensatz zu vielen anderen Orchestern wird ein Probespiel nicht verlangt. Wer mitspielen möchte, wird zu Beginn eines Projekts formlos akzeptiert. Dadurch wird Schwellenangst vermieden. Die Neuen merken jeweils bald selbst, ob sie den Anforderungen gewachsen sind und sich im bestehenden Umfeld wohlfühlen oder ob sie nach ein paar Proben lieber verzichten möchten. Probleme sind in dieser Hinsicht nie aufgetreten. In den zwanzig Jahren seines Bestehens haben rund 130 Amateure in einzelnen oder mehreren Projekten des Kammerorchesters La Folia mitgemacht. Einige aus der Anfangszeit sind heute noch regelmässig dabei.
Auftritte in Zürich und Umgebung
Die meisten Laienorchester sind lokal verankert und werden in der Regel von einer lokalen Institution getragen und finanziell unterstützt. Das Kammerorchester La Folia hat demgegenüber keinen festen Standort und ist ganz auf sich selbst gestellt. Es hat dadurch vor allem die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wo es auftritt. Neben den zur Tradition gewordenen Konzerten, die jedes Jahr im Sommer in der Wasserkirche und im Winter in der Kirche St. Anton in Zürich stattfinden, ist das Kammerorchester La Folia an den verschiedensten Orten in Zürichs näherer und weiterer Umgebung zu hören und bekannt geworden. Bereichernd sind jeweils auch Benefizkonzerte zu Gunsten wohltätiger Institutionen. Eine regelmässige Zusammenarbeit besteht in diesem Bereich mit der Kinderhilfe Uitikon.
Freunde und Gönner
Die Kosten des Orchesters werden durch Konzerteinnahmen in Form von Kollekten, in bescheidenem Rahmen gehaltene Beiträge der Mitspieler und durch Subventionen eines Gönnervereins ansehnlicher Grösse getragen. Dieser ist im Jahr 1999 gegründet worden und umfasst heute gegen hundert Mitglieder. Sie sind einerseits treue Konzertbesucher, die das Orchester immer wieder motivieren. Vor allem aber erlauben Mitgliederbeiträge und Spenden grosszügige Zuwendungen, die dem Orchester einen finanziell sorgenfreien Betrieb und auch die Verwirklichung besonderer Projekte ermöglichen. Die Mitglieder des Gönnervereins geniessen keine finanziell messbaren Privilegien, werden aber durch einen mit dem Orchester verbundenen Vorstand und durch das Orchester aktiv und persönlich betreut und sie finden, wenn sie es wünschen, Kontakt mit Gleichgesinnten und mit den Orchestermitgliedern. Von Anfang an haben wir sie zu diesem Zweck nach den Konzerten jeweils zu geselligem Zusammensein eingeladen. Das war damals vor fünfzehn Jahren etwas Neues. Wir spielten hier eine eigentliche Vorreiterrolle. Inzwischen hat der Zeitgeist die Idee solcher après-concerts bei musikalischen Veranstaltungen von Laienorchestern und auch im professionellen Bereich weit verbreitet und sozusagen zum Standard werden lassen. Im Zusammenhang mit dem Gönnerverein entstanden auch die ursprünglich für dessen Mitglieder bestimmten, ausführlichen Programmtexte mit mancherlei Hintergrundinformationen. Sie stiessen immer auf grosses Interesse und wurden deshalb bald allen Konzertbesuchern zur Verfügung gestellt. Sie haben alle Konzerte des Kammerorchesters La Folia in den letzten fünfzehn Jahren begleitet.
Begeistert musizieren – auch in Zukunft
Das Kammerorchester La Folia hat sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, ernsthaft Musik zu betreiben und auch mit Laien auf hohem Niveau zu konzertieren. Heute nimmt es einen festen Platz im Konzertleben der Stadt Zürich und darüber hinaus ein. Gemäss seinem Leitbild möchte es auch Kreise ansprechen, für die der Weg in den Konzertsaal nicht unbedingt zur Routine gehört und es tritt daher in ungezwungener Atmosphäre auf. Die Besucherzahlen und ein begeistertes Publikum zeugen davon, dass es damit eine sinnvolle kulturelle Aufgabe wahrnimmt. Möge ihm dies auch in Zukunft weiterhin gelingen.
Andres Hodel
15/02/2015